Schweden.
Die Sorge erscheint unbegründet, daß Antidepressiva die Suizidgefahr
depressiver Menschen steigern. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein:
Viele Suizide ließen sich möglicherweise vermeiden, sofern die
Betroffenen Antidepressiva einnehmen. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt
eine Forschergruppe, nachdem sie 5.281 Suizide analysiert hatte, die
sich zwischen 1992 und 1994 in Schweden ereignet hatten.
Gerichtsmedizinisch ließen sich nur bei
16,5 Prozent der Toten Spuren von Antidepressiva nachweisen, obwohl
vermutlich 40 bis 85 Prozent der Suizidenten vor ihrem Tod depressiv
gewesen waren. Die Untersuchungsergebnisse spiegeln somit nicht ein Übermaß
an Pharmakotherapie wider, sondern eher das Gegenteil: eine
Unterversorgung mit Antidepressiva bzw. die Wirkungslosigkeit bestimmter
Substanzen. Dafür sprechen vor allem zwei Beobachtungen: 1. Nur bei 4,4
Prozent der Toten erreichten die Antidepressiva toxische
Konzentrationen, wobei letztlich lediglich in 0,7 Prozent der Fälle
reine Antidepressiva-Vergiftungen vorlagen. 2. Zumindest in Schweden
geht die eindrucksvolle Umsatzsteigerung bei den Antidepressiva (seit
1990-91) mit einer signifikanten Abnahme der Suizidrate einher.
Die Autoren räumen eine Reihe methodischer
Schwächen ihrer Studie ein, beispielsweise die derzeit noch bestehende
Schwierigkeit, das relativ häufig verordnete Paroxetin und Lofepramin
im Blut nachzuweisen. Offen bleibt auch die Frage, warum neuere
Antidepressiva bei Suizidopfern vermehrt nachweisbar sind: Bezogen auf
die Verordnungshäufigkeit fanden sich die als besonders toxisch
geltenden klassischen Substanzen (trizyklische Antidepressiva) weitaus
seltener im Blut der Suizidopfer als die neueren Antidepressiva
(Trimipramin, Nortriptylin, Citalopram, Fluvoxamin, Moclobemid und
Mianserin). Einiges spricht dafür, daß Ärzte suizidgefährdeten
Personen lieber als „verträglich“ geltende Substanzen verordnen. In
diesem Fall würde sich die Diskrepanz darauf zurückführen lassen, daß
neuere Antidepressiva besonders häufig bei sehr schweren Depressionen
eingesetzt werden. Andererseits könnte aber auch eine bessere
antidepressive Wirksamkeit dafür verantwortlich zeichnen, daß sich
Verwender von Trizyklika seltener unter Suizidtoten finden.
Vor diesem Hintergrund plädieren die
Autoren in ihrem Resümee dafür, die Sensibilität der Ärzteschaft für
Depressionen zu verbessern und die Bereitschaft zur Verordnung von
Antidepressiva zu erhöhen. Um zu gewährleisten, daß neue
Antidepressiva genau so wirksam wie Trizyklika sind, sollten sie in
klinischen Studien durchweg mit diesen verglichen werden.
G.
Isacsson u.a.: The utilization of antidepressants - a key issue in the
prevention of suicide: an analysis of 5.281 suicides in Sweden during
the period 1992-1994. Acta Psychiatr. Scand. 1997 (96) 94-100