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Depressionsabwehr durch Zwang, Zwangs-Spektrum-Störungen und Sucht?

Von Prof. Dr. med. Iver Hand, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Verhaltenstherapie-Ambulanz, Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf 

Noch immer wird lebhaft darüber diskutiert, ob Zwang, Zwangs-Spektrum-Störungen  (ZSS), wie pathologisches Spielen, Einkaufen oder Stehlen, und Sucht „unabhängige“ seelische Phänomene sind oder ob sie nicht vor allem dazu dienen, unangenehme Affekte zu bewältigen bzw. abzuwehren. Zu den vermiedenen Mißbefindlichkeiten gehören neben der Depression auch Angst, Aggression und Schuldgefühle (s. Abb.)

bzw. deren psychophysiologische Korrelate, wie sie sich in Somatisierungsstörungen ausdrücken können. Die klinische Erfahrung spricht dafür, dass die o.g. Störungen bei vielen der Betroffenen eher als Pseudo-Copingstrategien zu betrachten sind. Unabhängig von der Diagnose profitieren sie oft von sehr ähnlichen Behandlungsschwerpunkten.

    Therapeutisch hat sich bei der genannten Trias die multimodale Verhaltenstherapie besonders bewährt. Im Gegensatz zu den in den letzten Jahren überbetonten kognitiven Strategien rückt sie „Emotion und Verhalten“ in den Mittelpunkt. In der Praxis geht man dabei so vor, dass beim Patienten ein symptomspezifischer Handlungsimpuls provoziert wird. Gleichzeitig ermuntert man den Kranken dazu, aus eigenem Willen die Symptomhandlung nicht auszuführen und sich statt dessen darauf zu konzentrieren, welche Gefühle und Gedanken sich jetzt einstellen. Auf diese Weise können sie bislang „abgewehrte“ als negativ oder unerträglich eingestufte Emotionen provokativ erleben, deren Ursachen klarer identifizieren und ihre aktive Bewältigung erlernen. Dies erleichtert eine Therapie.

    Vor allem bei Patienten mit Zwang oder ZSS findet man sehr häufig (in unserer Klientel bei der Hälfte aller Betroffenen) erhebliche Defizite im sozialen Verhalten und eine gesteigerte soziale Ängstlichkeit, die oft von einer sekundären Depression begleitet wird. Diese Personen reagieren besonders empfindlich, wenn andere ihnen zu nahe treten. Möglicherweise stößt dieses Erleben angeborene zerebral gebahnte Prozesse an, die bestimmte Verhaltensstereotypien in Gang setzen und halten (wie man es bei Territorialkonflikten von Tieren beobachten kann). Eine rein symptomatisch bezogene Behandlung ist bei diesen Personen nur wenig hilfreich, da Symptomfreiheit allein noch nicht zu sozialer Kompetenz verhilft. Es besteht die Gefahr, dass die Betreffenden im sozialen Kontakt erneut traumatisiert werden und mit einem Rezidiv oder einer Depression reagieren. Diesem Risiko beugt man vor, indem man vor oder begleitend zur Symptomreduktion die soziale Kompetenz trainiert.

Vertiefend z.B. I. Hand: „Zwangs-Spektrum-Störungen“ oder „Nicht-stoffgebunde Abhängigkeiten“? in: Psychotherapie in der Psychiatrie. Hsg.: C. Mundt et al. Berlin, Springer-Verlag 1997, S. 209-219; I. Hand: Out-patient, multi-modal behaviour therapy for obsessive-compulsive disorder. Brit. J. Psychiatry 1998 (173, Suppl.) S45-S52