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Eigener
Heilungstheorie eine Chance geben
Mindestens genau so wichtig wie die
Erläuterungen Ihres Arztes und die Hinweise dieses Textes sind Ihre
eigenen Ideen davon, wie sich Ihre Depression entwickelt hat und vor
allem wie Sie diese günstig beeinflussen können. Denn niemand kennt
Sie besser als Sie selbst. Geben Sie also Ihrer eigenen Heilungstheorie
eine Chance. Sie wird um so erfolgreicher sein, je weniger sie von der
Mitwirkung anderer abhängt. Ihren Arzt sollten Sie allerdings über
Ihre Vorstellungen eingehend informieren und Ihr Vorgehen mit ihm
abstimmen.
Depressionsentstehung
(re-)konstruieren
Offene Fragen beschäftigen uns so
lange, bis wir eine befriedigende Antwort gefunden haben. Deshalb wollen
auch Depressive wissen, „warum“ ausgerechnet sie unter einer
Depression leiden. Nehmen Sie sich also Zeit und Raum, um für sich eine
persönliche Erklärung zu finden. Um ihrer Seele Ruhe zu verschaffen,
können Sie notfalls eine befriedigende Antwort (er)finden. Erwarten Sie
aber nicht, daß allein eine zufriedenstellende Begründung Ihre
Depression bereits heilt. Auch ein verstopftes Rohr wird ja nicht schon
dadurch frei, daß man die Ursache der Verstopfung entdeckt. Ein
Verständnis der Zusammenhänge erleichtert es Ihnen allerdings,
andauerndes und Energie verzehrendes Grübeln über das „warum“
Ihres Leidens zu beenden und sich den Lösungen zuzuwenden.
Rasch
(be)handeln
Depressionen sprechen um so besser
auf eine Therapie an, je früher die Behandlung beginnt. Lange
Vorlaufzeiten scheinen eine Gewöhnung (Einschleifen von Gewohnheiten)
und damit die Festschreibung des Krankheitszustandes zu begünstigen.
Zögern Sie also nicht, umgehend ärztliche Hilfe aufzusuchen und mit
der empfohlenen Behandlung sofort zu beginnen.
Rückfällen
gelassen entgegensehen
Halten Sie sich von Anfang an vor
Augen, daß wir Menschen einmal Erlerntes nur sehr schwer (wenn
überhaupt) wieder verlernen. Die (tiefen) Spuren im Gehirn verwischen
nicht so rasch. Oder schaffen Sie es, Reden, Schreiben, Fahrrad fahren
oder Schwimmen wieder zu verlernen? Selbst wenn Sie diese Fähigkeiten
jahrelang nicht ausüben, gehen sie meist nicht (völlig) verloren.
Warum soll es mit depressivem Verhalten und Erleben anders sein?
Verzweifeln Sie nicht. Denn genau so wenig, wie man verpflichtet ist, zu
schwimmen oder Fahrrad zu fahren, genau so wenig ist man gezwungen,
depressiv zu sein. Der Verzicht auf ein Verhalten fällt uns um so
leichter, je bessere Alternativen uns offenstehen. So brauchen wir
beispielsweise nicht mehr zu schreiben, wenn wir telefonieren können.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, auch zur Depression
bessere Alternativen zu entwickeln, die es den Betroffenen erleichtern,
sich von der Depression zu lösen (wobei sie dadurch allerdings die
Befähigung zu depressivem Verhalten und Erleben nicht verlieren). So
würde sich auch erklären, warum es manchmal sinnvoll ist, dauerhaft
Medikamente einzunehmen, um einer Depression vorzubeugen.
„Rückfälle“ sind schon deshalb kein Grund zur Verzweiflung, weil
man bereits erfahren hat, daß und wie man sich von einer Depression
(wieder) lösen kann.
Ziele
formulieren und dem Leben Sinn geben
Depressive Menschen blicken vor
allem auf „Vergangenes“ (Verluste) und suchen nach Schuld. Falls sie
überhaupt an Zukunft denken können, sehen sie diese schwarz. Auch wenn
es Ihnen anfangs extrem schwer fallen wird, helfen Sie sich, wenn Sie
sich (kleine) Ziele setzen und damit auch Ihrem Leben „Sinn“ geben.
Hierbei ist es äußerst wichtig, daß es sich um ganz konkrete, ausschließlich
positiv formulierte und damit gut vorstellbare, also
erreichbare Ziele handelt. Begriffe wie „glücklicher“ und
„zufriedener“ sind zu allgemein. Positive Ziele sind so wichtig,
weil sie motivieren. Auch kann man sich beim besten Willen nicht
vorstellen, wie etwas aussieht, das es nicht mehr gibt (keine
Traurigkeit, keine Angst, keine Hoffnungslosigkeit). Wer
nur beschreibt, was er loswerden will, wird genau so unzufrieden bleiben
wie der Käufer, der lediglich „etwas Nicht-Blaues“ bestellt. Wenn
man sich nur vornimmt, „weniger zu grübeln“, drohen eher
Enttäuschungen als mit der Zielsetzung „anstelle von Grübeln werde
ich Sport treiben“.
Antidepressiva
vertrauen
Antidepressiv wirkende Medikamente
normalisieren einen gestörten Stoffwechsel im Gehirn, indem sie
sogenannte Botenstoffe beeinflussen (insbesondere Noradrenalin und
Serotonin). Sie machen nicht abhängig und sind bei gesunden Menschen
wirkungslos. Ihr Effekt tritt üblicherweise verzögert ein (spätestens
nach zwei bis drei Wochen). Deswegen darf man ihre Einnahme nicht zu
früh beenden.
„Schlafentzug“
probieren
Ein nach bewährten Regeln
durchgeführter Schlafentzug kann die medikamentöse Behandlung
depressiver Menschen sinnvoll ergänzen. Bei rund 60 Prozent der
Patienten bessert eine durchwachte Nacht die depressive Stimmung
eindrucksvoll. Leider hält der Effekt aber selten länger als einen
oder einige Tage an. Einen Schlafentzug führt man üblicherweise nicht
alleine durch, sondern in einer Gruppe. Wer noch nicht die nötige
Erfahrung hat, sollte einen Angehörigen bitten, während des
Schlafentzugs anwesend zu sein. Wiederholungen sind sinnvoll (ein- bis
zweimal pro Woche). Schlafentzug kann die Wirkungen einer
medikamentösen Depressionsprophylaxe oder einer laufenden
Psychotherapie verstärken und so Rückfällen vorbeugen.
Ängste
„normalisieren“
Depressionen gehen in einem hohen
Prozentsatz mit starken Ängsten einher. Nicht selten beginnt der
Leidensvorgang mit Angst, welche die Betroffenen nicht bewältigen. Als
Folge dieses Versagens bzw. der damit einhergehenden Erschöpfung und
Verzweiflung stellt sich auch noch eine Depression ein. Mindestens
ebenso häufig kommt es vor, daß sich zuerst eine Depression einstellt,
die ihrerseits dann Ängste erzeugt. Ängste lassen sich mit Hilfe von
Psychotherapie und Medikamenten außergewöhnlich gut behandeln. Dabei
kann es immer nur darum gehen, die Ängste auf ein normales Maß zu
verringern. Denn Angst ist ein wichtiges Signal, das uns auf Gefahren
aufmerksam macht und Energien mobilisiert. Der enge Zusammenhang
zwischen Depression und Angst spiegelt sich nicht zuletzt in dem Erfolg
von Medikamenten wider, bei denen oft ein und dieselbe Substanz beide
Leidensformen bessert.
Sich
konstruktiv auseinandersetzen lernen
Da depressive Menschen sich nur mit
Mühe trennen können, fällt es ihnen oft schwer, sich „auseinander
zu setzen“. Denn bei Konflikten und Streitgesprächen droht immer die
Gefahr, daß man sich „entzweit“. Aus der Sorge, die Zuwendung der
anderen zu verlieren, schlucken deshalb viele Depressive lieber ihren
Ärger (mit der Folge von Magenschmerzen) oder sie versuchen, diesen
allenfalls indirekt auszudrücken. „Heilsamer“ ist es, Konflikte in
konstruktiver Weise auszutragen. Dabei werden selten die Konflikte
selbst zum Problem, viel eher ist es die Art ihrer Austragung (etwa wenn
es darum geht, „den Schuldigen zu entlarven“ oder „Sünden
gegeneinander aufzurechnen“). Gespräche verlaufen um so günstiger,
je mehr man den Partner achtet und ihn nicht abwertet. Kritik kommt am
besten an, wenn man sie in einen persönlichen „Wunsch“ kleidet.
Meist fördert es den Gesprächsverlauf, wenn man die eigenen Interessen
offenlegt, beschreibt, was das Verhalten des anderen bei einem selbst
auslöst, auf das Lesen fremder Gedanken verzichtet, ein „nein“ auf
die Sache und nicht auf die Person bezieht und keine Killerphrasen
benutzt („Du hast doch keine Ahnung davon“).