Von Prof. Dr. Dr.
Rolf D. Hirsch, Chefarzt der Abt. Gerontopsychiatrie an der Rheinischen
Landesklinik Bonn, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
Gerontopsychiatrie und –psychotherapie
Angststörungen im Alter
werden leicht übersehen und verkannt. Denn mit zunehmendem Alter
„verschwimmen“ die klassischen Krankheitsbilder, rücken
uncharakteristische körperliche Symptome in den Vordergrund und verfließt
die Grenze zwischen „gesund“ und „krank“. Die Umwelt sieht in
der Angst älterer Menschen vermehrt rein körperliche Mißempfindungen
und führt sie lapidar auf das Lebensalter zurück („Das ist
altersbedingt“). Zudem scheuen sich viele ältere Menschen, über
psychische Probleme zu sprechen. Wenn sie angstbesetzten Situationen aus
dem Weg gehen, fällt dies weniger auf. Denn ältere Menschen sind
leistungsmäßig weniger gefordert. Für sie gilt es als normal, daß
sie weniger soziale Kontakte haben. So erklärt sich, warum Ängste bei
älteren Personen zu selten diagnostiziert und angemessen behandelt
werden. Dies gilt auch für sog. Sekundärängste, die andere
Erkrankungen begleiten. Deren Ausmaß hängt davon ab, wie bedrohlich
die Betroffenen die Grundkrankheit einschätzen.
Wenn ein alter Mensch Ängste
äußert, müssen diese genau so ernst genommen werden wie eine
organische Erkrankung. Zurückhaltung mit körperlichen Untersuchungen
ist geboten, wenn der Betroffene häufig somatisiert. Wenn man einen
solchen Patienten vermehrt und intensiv organisch untersucht, liest er
zwischen den Zeilen heraus, „ihm fehle nichts“ oder „er bilde sich
nur etwas ein“. Da der Patient jedoch etwas anderes erlebt, wird er
nur noch mehr verunsichert bzw. geängstigt.
Viele ältere Patienten
profitieren bereits von einer einfühlsamen Aufklärung über ihr
Angstleiden und durch eine Anleitung zur Selbsthilfe. Dabei ist es
wichtig, Angst als normales und sinnvolles Gefühl zu beschreiben, das
Denken, Fühlen, Verhalten und körperliche Reaktionen beeinflußt.
Angst selbst ist nicht gefährlich. Erst Angstvermeidung macht die Angst
zum Problem. Zu den Möglichkeiten der Selbsthilfe gehören: regelmäßige
körperliche Aktivitäten, Entspannungsmaßnahmen, Hausaufgaben (z.B.
sich allmählich steigernde Konfrontation mit angstauslösenden
Situationen), Tagebuchführung, therapeutische Selbstgespräche und
Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe.
Soweit sich Bezugspersonen in
die Behandlung einbeziehen lassen (was sinnvoll ist), sollten diese
darauf achten, daß sie nicht durch Überfürsorglichkeit oder Fördern
von Angstvermeidung die Symptome des Kranken stabilisieren.
Läßt sich der Zustand so
nicht verbessern oder fehlt dem angstkranken älteren Menschen jegliches
Heilungspotential, sollte umgehend eine spezifische Behandlung beginnen.
Sie kann sich des gesamten Therapiearsenals bedienen, das sich auch bei
jüngeren Angstkranken bewährt hat (insbesondere Entspannungs- und
kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden).
Nach einem Vortrag
am 04.03.1999 auf der 4. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für
Gerontopsychiatrie und –psychotherapie in Düsseldorf