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Wann kommt die „Arzt-Depression“?

von Dr. med. Winfried Schorre, Nervenarzt,

1. Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Köln

    Noch gibt es ihn nicht, den Begriff der „Arzt-Depression“. Sollten die krankmachenden (politischen) Umstände weiter anhalten, so dürfte es bis zu seiner klassischen „Erstbeschreibung“ nicht mehr lange dauern. Typische Symptome sind bei niedergelassenen Kollegen schon jetzt auszumachen. Zu ihnen gehören übermäßige Sorgen, der hoffnungslose Blick in die Zukunft, Angespanntheit und Überreiztheit, Nervosität und innerliche Unruhe, Gefühle von Eingeengt- und Eingeschlossen-Sein, von Einsamkeit und Wertlosigkeit, Probleme, Entscheidungen zu treffen.

     Sollte sich der Begriff „Arzt-Depression“ etablieren, hätte er gute Aussichten, für ein Beispiel ausgesprochen exogener Verursachung in die Lehrbücher aufgenommen zu werden. Im Gegensatz zu den klassischen Formen der Depression gelingt es bei ausreichender (in der Öffentlichkeit aber fast völlig fehlender) Empathie sogar, sich in die genannten Symptome einzufühlen. Denn durch die politischen Rahmenbedingungen werden die im Gesundheitswesen Tätigen immer mehr in ein kompliziertes System eingesperrt, das sie vom übrigen (Wirtschafts)Leben isoliert und in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eindeutig einschränkt. Die extrem kurzlebigen Rahmenbedingungen und die dadurch außerhalb der eigenen Kontrolle liegende Zukunft erschweren es, längerfristige Entscheidungen zu treffen. Zusammen mit dem komplizierten und oft unkalkulierbaren Honorarsystem fördern sie Hoffnungslosigkeit, Sorge, Nervosität und innere Unruhe. Sinkende Punktwerte dokumentieren zunehmende „Wertlosigkeit“ und das negative Image in den Medien suggeriert, undankbar und böse zu sein (ruft also Schuldgefühle hervor).

     Zu Depressionen tragen die Erfahrungen bei, daß eigenes Bemühungen wirkungslos ist und die Umwelt einen ohnehin nicht versteht. Auch diese Phänomene prägen den Alltag vieler niedergelassener Ärzte, wenn die Honorare trotz vermehrten Arbeitseinsatzes weiter sinken und die Öffentlichkeit nur Unverständnis signalisiert.

      Was würden wir Ärzte einem solchen Patienten und seinen Betreuern raten? Sicherlich würden wir zumindest auf die Wichtigkeit verläßlicher Rahmenbedingungen, Wertschätzung und Integration (statt Isolation) des Kranken hinweisen. Schade, daß der ärztliche Rat in der Politik (noch?) so wenig zählt.

Editorial

Wann kommt die „Arzt-Depression“?

von Dr. med. Winfried Schorre, Nervenarzt,

1. Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Köln

    Noch gibt es ihn nicht, den Begriff der „Arzt-Depression“. Sollten die krankmachenden (politischen) Umstände weiter anhalten, so dürfte es bis zu seiner klassischen „Erstbeschreibung“ nicht mehr lange dauern. Typische Symptome sind bei niedergelassenen Kollegen schon jetzt auszumachen. Zu ihnen gehören übermäßige Sorgen, der hoffnungslose Blick in die Zukunft, Angespanntheit und Überreiztheit, Nervosität und innerliche Unruhe, Gefühle von Eingeengt- und Eingeschlossen-Sein, von Einsamkeit und Wertlosigkeit, Probleme, Entscheidungen zu treffen.

     Sollte sich der Begriff „Arzt-Depression“ etablieren, hätte er gute Aussichten, für ein Beispiel ausgesprochen exogener Verursachung in die Lehrbücher aufgenommen zu werden. Im Gegensatz zu den klassischen Formen der Depression gelingt es bei ausreichender (in der Öffentlichkeit aber fast völlig fehlender) Empathie sogar, sich in die genannten Symptome einzufühlen. Denn durch die politischen Rahmenbedingungen werden die im Gesundheitswesen Tätigen immer mehr in ein kompliziertes System eingesperrt, das sie vom übrigen (Wirtschafts)Leben isoliert und in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eindeutig einschränkt. Die extrem kurzlebigen Rahmenbedingungen und die dadurch außerhalb der eigenen Kontrolle liegende Zukunft erschweren es, längerfristige Entscheidungen zu treffen. Zusammen mit dem komplizierten und oft unkalkulierbaren Honorarsystem fördern sie Hoffnungslosigkeit, Sorge, Nervosität und innere Unruhe. Sinkende Punktwerte dokumentieren zunehmende „Wertlosigkeit“ und das negative Image in den Medien suggeriert, undankbar und böse zu sein (ruft also Schuldgefühle hervor).

     Zu Depressionen tragen die Erfahrungen bei, daß eigenes Bemühungen wirkungslos ist und die Umwelt einen ohnehin nicht versteht. Auch diese Phänomene prägen den Alltag vieler niedergelassener Ärzte, wenn die Honorare trotz vermehrten Arbeitseinsatzes weiter sinken und die Öffentlichkeit nur Unverständnis signalisiert.

      Was würden wir Ärzte einem solchen Patienten und seinen Betreuern raten? Sicherlich würden wir zumindest auf die Wichtigkeit verläßlicher Rahmenbedingungen, Wertschätzung und Integration (statt Isolation) des Kranken hinweisen. Schade, daß der ärztliche Rat in der Politik (noch?) so wenig zählt.