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„Altersdepressionen“ haben Besonderheiten

Von Prof. Dr. med. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität, Klinikum rechts der Isar, München

     10 bis 30 Prozent der über 65jährigen leiden unter depressiven Störungen. Noch häufiger finden sich diese bei Krankenhauspatienten, Pflegeheimbewohnern und Patienten, die onkologisch, kardio- und zerebrovaskulär oder neuropsychiatrisch erkrankt sind. Geht man von den strengen ICD-10-Kriterien aus, berechnet sich die Depressionsprävalenz lediglich mit 1 bis 10 Prozent. Ätiologisch spielen genetische und familiäre Faktoren mit zunehmendem Alter eine geringere Rolle. Häufiger finden sich soziale, psychologische und biologische Auslöser.

    Über 50 Prozent aller depressiven Störungen im Alter sind belastende Lebensereignisse vorausgegangen. Die mit der altersbedingten Multimorbidität verbundene Polymedikation löst ebenfalls häufig depressive Störungen aus (vor allem Betablocker, andere Antihypertensiva, Digoxin, L-Dopa, Steroide, Benzodiazepine und Neuroleptika). Depressionen alter Patienten remittieren seltener, verlaufen chronischer und gehen mit einer erhöhten Mortalität einher.

    Die Symptome der Altersdepression ähneln zwar der Symptomatik bei jüngeren Menschen. Dennoch rücken durch den „pathoplastischen Effekt des Alters“ in dieser Bevölkerungsgruppe oft andere Erscheinungen in den Vordergrund als bei jüngeren Depressiven. So klagen alte Patienten seltener über eine depressive Verstimmung. Statt dessen äußern sie häufiger hypochondrische Befürchtungen und zeigen sie körperliche Angstsymptome bzw. vegetativ-somatische Störungen.

    Diagnostische Schwierigkeiten bereitet die Frage, wie viele depressive Einzelsymptome oder wieviel „Dysthymie“ als altersassoziiert akzeptiert werden sollte (Antwort: Keine!). Die Depressionsdiagnostik wird nicht zuletzt durch die hohe somatische, insbesondere zerebrale Komorbidität und die damit einhergehende Tendenz erschwert, ausschließlich nach somatischen Erklärungen zu suchen. Dabei geht es gerade im Alter weniger darum, einzelne Krankheitsursachen zu identifizieren und zu isolieren. Vielmehr gilt es, beeinflußbare Teilfaktoren einer vielschichtigen Störung zu erfassen.

    Auch bei differentialdiagnostischen Zweifeln ist eine antidepressive Therapie zu versuchen, wobei die Patienten sorgfältig zu beobachten und sowohl die depressive Symptomatik als auch eine mögliche medizinische Begleiterkrankung konsequent zu behandeln sind. Zu Beginn der Therapie ist der Patient ausführlich aufzuklären und sein Krankheitskonzept zu berücksichtigen. So lassen sich ein verbessertes Krankheitsverständnis, verminderte Schuldgefühle und eine gute Compliance erzielen. Zur Basistherapie gehören

·      Empathie, Akzeptanz, Motivierung und Aktivierung durch das Therapeutenteam,

·      Entspannungsverfahren, Bewegungstherapie, Gesprächsgruppen und andere stützende Maßnahmen,

·      soziale Hilfen (Lösung finanzieller Probleme),

·      die Behandlung begleitender somatischer Erkrankungen und

·      eine etwaige Anpassung der Pharmakotherapie.

Psychotherapie ist indiziert bei deutlichen Hinweisen auf psychosoziale Auslöser, aufrechterhaltende psychodynamische Faktoren und schlechtes Coping. Eine Pharmakotherapie ist unverzichtbar bei mittleren und schweren depressiven Episoden, bei Schlafstörungen, Angst, Wahn und Suizidalität. Die Auswahl des Antidepressivums richtet sich in erster Linie nach dem Nebenwirkungsspektrum (Sicherheit und Verträglichkeit) und erst in zweiter Linie nach dem gewünschten Wirkungsschwerpunkt (Sedierung, Aktivierung,...). Für die Dosierung gilt die Devise „start low - go slow!“. Die Antidepressiva sind anfänglich niedriger zu dosieren als bei jüngeren Erwachsenen und in ihrer Menge dann langsam zu steigern. Die individuelle Höchstdosis kann schließlich durchaus der des mittleren Erwachsenenalters entsprechen. Bei Therapieresistenz kann eine Elektrokrampftherapie indiziert sein. Sie ist dank der heutigen Narkosemöglichkeiten im höheren Lebensalter verträglich und sicher. Besonders bei körperlich sehr kranken und vital gefährdeten Patienten sollte sie erwogen werden. Insgesamt ist die Indikation eher weiter zu stellen als im jüngeren Erwachsenenalter.

Nach einem Vortrag auf dem Interdisziplinären Forum „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin“ am 22.01.1999 in Bonn

Foto: Prof. Dr. med. Hans Förstl