Mit dieser provokativen
Frage befasst sich die angesehene Fachzeitschrift „New England Journal
of Medicine“, indem sie dazu zwei kontroverse Standpunkte veröffentlicht.
Notwendigkeit und Sinn von „Schein-Operationen“ an Parkinson-Kranken,
denen fetales Gewebe implantiert werden sollen, betonen T. B. Freeman und
Kollegen. Sie verweisen darauf, dass auch Operationen ein Placebo-Effekt
anhaftet. Dies dürfte erklären, warum man von vielen (heute
zweifelhaften) operativen Eingriffen erst spät Abstand nahm (zum Beispiel
Aderlässen, routinemäßigen Tonsillektomien und Vorhautentfernungen,
wiederholten Kaiserschnitten und Ligaturen der Arteria thoracica interna).
Deshalb sei es sinnvoll und geboten, neue operative Methoden ähnlich
sorgfältig zu überprüfen, wie es bei Medikamenten heute Standard ist.
Zur Zeit lässt sich höchstens von sieben Prozent aller neuen
chirurgischen Verfahren sagen, dass sie sich an entsprechenden Kriterien
orientieren. Da Parkinson-Kranke auf Placebo-Effekte ansprechen (bei 20
bis 30 Prozent verbesserten sich unter einem Placebo die motorischen Störungen),
sollte nach Ansicht von Freeman und Kollegen auch die Implantation fetalen
Gewebes „placebo-kontrolliert“ erfolgen. Dieser Eingriff weise zudem
zahlreiche Parallelen zur medikamentösen Behandlung auf. So werde bei ihm
nichts weggeschnitten, sondern ein fremder Stoff in den Organismus
eingebracht.
Mit Billigung ihrer
Ethikkommissionen entwarfen die amerikanischen Wissenschaftler ein
Studiendesign, bei dem 36 Parkinson-Kranke randomisiert und einfach blind
drei unterschiedlichen Behandlungsformen zugewiesen werden: 1. Der
zweiseitigen Transplantation fetalen Gewebes aus der Substantia nigra (ein
Spender pro Seite), 2. dem gleichen Vorgehen mit vier Spendern pro Seite,
3. einer beidseitigen Placebo-Operation (bei der im Schädel lediglich
Bohrlöcher angebracht werden, ohne Gehirnsubstanz zu berühren). Den
Placebo-Patienten wird garantiert, dass sie später ebenfalls kostenfrei
fetales Gewebe implantiert erhalten, sofern sich die Methode als wirksam
herausstellt. Sie haben damit den „Vorteil“, dass andere Kranke für
sie den eigentlichen Test übernehmen, ihnen somit Risiken ersparen und
letztlich eine optimale Entscheidung ermöglichen.
Der positiven Sichtweise von
Freeman und Kollegen widerspricht R. Macklin, die in Placebo-Operationen
keinen „Goldstandard“ entdecken kann. Sie betont das Interesse der
Placebo-Patienten, die vor unnötigem Schaden und Vorgaukelei geschützt
werden müssen. Aus ihrer –Sicht ist die beschriebene Studie unethisch,
zumal sie den Placebo-Patienten zahlreiche Risiken zumutet (zum Beispiel
auch eine unnötige Antibiotika-Einnahme).
Anmerkung
des ZNS-SPEKTRUMS: Die voranstehend skizzierte Kontroverse
beschreibt die Situation in den USA. In Deutschland ist diese (noch) nicht
akut, da hier vorerst diskutiert wird, inwieweit die Transplantation
fetalen Gewebes überhaupt ethisch vertretbar ist (vgl. ZNS-SPEKTRUM
1/1998, S. 11: „Zellimplantationen bei Parkinson-Kranken. Warum zögern
Deutschlands Neurochirurgen?“).
Freeman, T. B. u.a.:
Use of placebo surgery in controlled trials of a cellular-based therapy
for Parkinson´s disease. N. Engl. J. Med. 1999 (341) 988-992; R. Macklin:
The ethical problems with sham surgery in Clinical Research. N. Engl. J.
Med. 1999 (341) 992-996
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