Bonn. Erfordern
„Altersdepressionen“ eine Sonderbehandlung? Dürfen agierte Depressive
ein aktivierendes Antidepressivum erhalten? Erhöht sich gegebenenfalls
die Suizidgefahr? Werden Epilepsie-Kranke optimal antidepressiv behandelt?
Senken auch moderne Antidepressiva die Krampfschwelle? Diese und andere
Fragen beantwortete ein von Pharmacia & Upjohn am 6. Mai 2000 in Bonn
veranstaltetes Symposium weitgehend mit „nein“. Unter dem Titel „NoradrEnergie
– aktuelle Optionen in der Psychiatrie“ brachte es nicht nur
eingefahrene Denkgewohnheiten ins Wanken; zugleich zeigte es neue
Perspektiven auf. Diese sind insbesondere auch der Entwicklung moderner
Antidepressiva zu verdanken. Zu letzteren gehört Reboxetin (Edronax®).
Über ihren antidepressiven Effekt hinaus scheint die Substanz auch die
Behandlung von Krankheitszuständen zu verbessern, bei denen kognitive
Beeinträchtigungen eine wichtige Rolle spielen (wie Schizophrenie, Morbus
Parkinson, Epilepsie und Demenz).
An Ironie ließ es Prof.
Dr. Ralf Uebelhack nicht mangeln, als er auf deutsche Besonderheiten der
Depressionsbehandlung hinwies. Nach dem Motto „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“
sei diese von dem Verlangen geprägt, „alles zu beruhigen“. Eine
solche Einstellung habe für den behandelnden Arzt durchaus Vorteile. Denn
bekanntlich sind aktive, kognitiv verbesserte und möglicherweise sogar
aufmüpfige Patienten schwieriger zu führen, meinte der Berliner
Psychiater mit deutlichem Schmunzeln. Er selbst ließ keinen Zweifel daran
aufkommen, dass ihm andere Ziele einer antidepressiven Therapie mehr am
Herzen liegen. Neben einer Symptomreduktion und dem Aufbau eines
Vertrauensverhältnisses steht für Uebelhack im Vordergrund, die
Selbstbestimmung der Kranken zu fördern. Dies lasse sich mit einer
aktivierenden Substanz wie Reboxetin, die außerdem kognitive Leistungen
verbessert und vergleichsweise rasch wirkt, besonders gut erreichen.
Erfahrungen mit seinen eigenen Patienten haben gezeigt, dass Depressive
oft besonderen Wert darauf legen, sich von ihrem Zustand distanzieren und
wieder kognitiv funktionieren zu können. Um dies rasch zu erreichen,
nehmen manche Kranke Unruhe, Erregung und Schlafstörungen billigend in
Kauf, „da es auf einen Tag
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mehr oder weniger nun
auch nicht mehr ankomme“. In einer eigenen Studie überzeugte sich der
an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Psychiater davon, dass sich
Gedächtnisschwierigkeiten bereits unter einer vierwöchigen
Reboxetin-Behandlung eindrucksvoll bessern.
Uebelhack räumte auch
mit diversen Fehlvorstellungen von „Depressionen im Alter“ auf. So ist
die Idee, es handele sich dabei um eine besondere Kategorie, vermutlich
Folge einseitiger Beobachtungen: Studien, die „Altersdepressionen“
vermehrt mit Erregung sowie vegetativen und Wahnsymptomen in Verbindung
brachten, wurden nämlich überwiegend an stationären Patienten gemacht.
Sie spiegeln damit eher die Besonderheiten ausgewählter (nämlich
besonders schwer erkrankter) Patienten wider als das Wesen der
„Altersdepression“. Metaanalysen lassen zudem keinen Zweifel daran,
dass die Prognose von Depressionen im Senium genau so gut ist wie die in
anderen Altersgruppen. Auch Suizide sind bei
älteren Depressiven
nicht häufiger als bei jüngeren. Hinter vermeintlicher
„Therapieresistenz“ verbergen sich häufig Anwendungsfehler.
Depressionen
Epilepsie-Kranker nicht länger übersehen!
Erschreckende Zahlen
stellte Dr. Kai-Uwe Kühn auf dem Bonner Symposium vor. Von 178 Patienten
mit einer Temporallappen-Epilepsie, die der Bonner Psychiater als
Konsiliarius begutachtete, waren 68 (also fast 40 Prozent) depressiv.
Erschütternd ist vor allem die Erkenntnis, dass von den letzteren nur 11
Patienten entsprechend diagnostiziert worden waren. Lediglich 2 hatten
bislang eine spezifische Therapie erhalten. Zur Rechtfertigung der
einweisenden Nervenärzte wies Kühn auf zweierlei hin: 1. Die
(ideologisch geprägte) Annahme, psychische Auffälligkeiten von
Epilepsie-Kranken seien Ausdruck einer „epileptischen Wesensänderung“,
lässt vergessen, dass es sich dabei um den Ausdruck einer Depression
handeln kann. 2. Antiepileptika haben Nebenwirkung zur Folge (wie Müdigkeit
und Gewichtszunahme), die typische Symptome einer Depression verdecken
(wie Schlafstörungen und Apetitlosigkeit). Deshalb versagen manche
Instrumente (etwa der
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Hamilton-Depressionstest),
wenn es darum geht, bei Epilepsie-Kranken leichte Depressionen zu erkennen.
Die eklatante Unterbehandlung der Patienten mit Antidepressiva erklärte
sich Kühn mit der Skepsis von Kollegen, Antidepressiva könnten die
Krampfschwelle senken, mit anderen Arzneimitteln ungünstig interagieren und
allenfalls einen fraglichen Erfolg erzielen. Am Beispiel der modernen
Antidepressiva räumte der Bonner Psychiater diese Sorgen aus. So zeigt eine
von ihm zur Zeit durchgeführte randomisierte Studie an Patienten mit
Temporallappen-Epilepsie, dass moderne Antidepressiva wie Reboxetin mit
einer nahezu 80prozentigen Response-Rate außergewöhnlich gut wirken.
Aktivierende Substanzen wie Reboxetin schneiden dabei nach drei bis sechs
Monaten hochsignifikant besser als ab sedierende (wie z.B. Mirtazapin).
„Komorbide
Depressionen“: eine weitere Stärke von Reboxetin?
Mit der Frage nach den
besonderen Indikationen des neuen selektiven
Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Reboxetin befasste sich Dr. Peter Schüler.
Wie das mittlerweile umfangreiche Datenmaterial verdeutlicht, kommen dafür
grundsätzlich Depressionen aller Schweregrade in Betracht, außerdem solche
Depressionen, bei denen der Energiemangel im Vordergrund steht, und
Depressionen, die auf andere Antidepressiva nicht ausreichend angesprochen
haben. In diesem Zusammenhang stellte Schüler eine kanadische Studie an 4
Depressiven vor, bei denen fast das gesamte Therapiearsenal versagt hatte
(angefangen von mehreren selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bis hin
zum Elektrokrampf). Erst eine Kombination aus täglich 6 mg Reboxetin und 60
mg Citalopram brachte die Wende, die nach 16 Wochen in einer Vollremission
gipfelte. Angesichts dieser Erfahrungen sollte bei mangelnder Response auf
andere Antidepressiva nicht nur an einen kompletten Wechsel auf Reboxetin
gedacht werden, sondern auch an die Möglichkeit, Reboxetin einer laufenden
antidepressiven Medikation hinzuzufügen (sog. Augmentation). In seinem Resümee
skizzierte Schüler das mittlerweile eindrucksvolle Spektrum
nervenheilkundlicher Erkrankungen, auf deren Symptomatik sich Reboxetin (über
den antidepressiven Effekt hinausgehend!) günstig auswirken kann. Sie
reichen von der Schizophrenie bis zum Morbus Parkinson.
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