München. In den USA
und Großbritannien führen viele Depressive kein Schattendasein mehr.
Offensiv treten sie dafür ein, ihre Erkrankung bekannt zu machen, deren
Früherkennung zu fördern und auf die gute Behandelbarkeit ihres Leidens
zu verweisen. Entsprechende Strategien und Befragungsergebnnisse von
Depressiven präsentierten Vertreter zweier großer
Selbsthilfeorganisationen auf einer Pressekonferenz. Sie wurde von
Pharmacia & Upjohn am 9. September 2000 anlässlich des
ECNP-Kongresses ausgerichtet.
„Wir sind die größte von
Patienten geführte und auf eine bestimmte Krankheit bezogene Organisation
unseres Landes“, erklärte stolz Donald G. Jacob, Präsident der
„National DMDA“. Selbstbewusst nimmt die „National Depressive and
Manic-Depressive Association“ für sich in Anspruch, 20 Millionen
betroffene Amerikaner zu vertreten. Ihre Bedeutung misst die DMDA u.a. an
der öffentlichen Nutzung ihrer Angebote. Zu ihnen gehören 5.000 persönlich
beantwortete Telefonanrufe, 250.000 Besuche der Internetseite (www.ndmda.org)
und der Versand von 2.000 kostenlosen Informationspaketen pro Monat. Über
400 Selbsthilfegruppen sind unter dem Dach der 1986 gegründeten
Organisation mittlerweile vereint.
Wenn sich Depressive politisch engagieren
Wie sich Betroffene in der Öffentlichkeit
mit dem Thema Depression auseinandersetzen können, demonstrierte Stuart
Perry. In seiner „Reise für`s Leben“ („Journey for Life“)
sammelte der engagierte Expatient auf einem 1.000 Meilen-Marsch über
10.000 Unterschriften. Diese plädieren dafür, Maßnahmen zur Früherkennung
der Depression einzuführen. Schicksale wie die von Perrys Vater, der sich
in einer Depression erschoss, wären dadurch möglicherweise zu vermeiden.
Einen „National Depression Screening Day“ gibt es in den USA bereits
seit rund 10 Jahren. Als Experte aus
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Eigenerfahrung betonte
Perry die Notwendigkeit, Depressiven zu Arbeit zu verhelfen. Wenn es nicht
anders geht, müssen Expatienten notfalls selbst ein Unternehmen gründen,
wie es in Perrys Heimatstadt bereits erfolgt ist. Selbstbewusst und
zugleich neutral bezeichnen sich die von einer Depression Betroffenen als
„Consumer“ oder „User“. In diesem Rollenverständnis ermutigen sie
alle Mitbetroffenen, ihr Stimmrecht zu gebrauchen. Erfahrungsgemäß
lassen sich Reformen auf diesem Weg am ehesten in Gang bringen.
Energiemangel als häufigstes
Depressionssymptom
Eine von der DMDA auf
ihrer Internetseite durchgeführte Befragung überraschte mit dem
Ergebnis, dass weniger Stimmungsprobleme als vielmehr „Müdigkeit und
Energiemangel“ das führende Depressionssymptom zu sein scheinen.
Immerhin 96 Prozent der Befragungsteilnehmer litten darunter. Außerdem
spiegelte sich in den Ergebnissen Unzufriedenheit mit den derzeitigen
Behandlungsbedingungen wider: Nur 30 Prozent äußerten sich positiv. Auch
eine von Antony Tiernon präsentierte Befragung von 1.070 depressiven
„Konsumenten“ bestätigt die zentrale Rolle von Müdigkeit und
Energiemangel im Erleben depressiver Menschen. Immerhin 81 Prozent der
Befragungsteilnehmer litten vor Behandlungsbeginn darunter. „Depressive
Stimmung“ folgte mit 78 Prozent erst auf Platz 2 der häufigsten
Symptome. Während sich die schlechte Stimmung unter Medikamenten um
immerhin rund 75 Prozent besserte, betrug der entsprechende Fortschritt
beim führenden Symptom „Müdigkeit/Energiemangel“ nur etwas mehr als
50 Prozent. „Tragen die bisherigen Behandlungskonzepte der Müdigkeit
Depressiver vielleicht zu wenig Rechnung?“ fragte sich auch Prof. Dr.
Marten W. deVries. Der Generalsekretär der World Federation of Mental
Health kritisierte, dass sich Ärzte mehr an „Diagnosen“ und weniger
an „Symptomen“
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orientieren. Denn
„Diagnosen“ gebe es im Gegensatz zu „Symptomen“ im wirklichen Leben
nicht. Auch deVries machte sich dafür stark, in der Depressionsforschung
und –behandlung die Patienten-Perspektive stärker zu berücksichtigen.
Depression entstigmatisieren
Für einen anderen Umgang
mit dem bislang „missverstandenen“ Phänomen „Depression“ engagiert
sich auch die britische „Depression Alliance“. Die aus den
„Depressives Associated“ hervorgegangene Organisation hat heute 4.500
Mitglieder, mehr als 150
Selbsthilfegruppen und 20
hauptamtliche Mitarbeiter. Auf ihrer Website (www.depressionalliance.org).
registriert sie wöchentlich Tausende von Kontakten. Wie überfällig eine
Entstigmatisierung der Depression ist, bestätigt die zuletzt erwähnte
Konsumentenbefragung: Während 94 Prozent der Studienteilnehmer zwar die
eigene Familie über das depressive Leiden informierten, klärten nur 43
Prozent ihre Arbeitgeber oder Arbeitskollegen auf. Die Betreffenden wollten
nicht als „emotional überempfindlich“, „schwach“ oder
„instabil“ gelten. Jeder Vierte befürchtete, seinen Arbeitsplatz zu
verlieren. Vor diesem Hintergrund ist es um so wichtiger, die Öffentlichkeit
über die gute Behandelbarkeit von Depressionen aufzuklären. Diesen Aspekt
verdeutlichte Prof. deVries an einem Vergleich: Während sich die
Erfolgsquoten bei häufigen Herzerkrankungen im Bereich zwischen 41 und 52
Prozent bewegen, erzielen Depressionsbehandlungen in 65 bis 80 Prozent der Fälle Erfolge.
Nach
der Pressekonferenz „Attitudes towards, and satisfaction with, medication
for depression – the consumers´ perspective”. Veranstaltet von
Pharmacia & Upjohn am 9. September 2000 in München im Rahmen des 13. ECNP-Kongresses
(European College of Neuropharmacology)
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