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Auf den Begriff "Demenz" verzichten?

Australien. Nach Ansicht von P. Sachdrev spricht vieles dafür, auf den Begriff “Demenz” zu verzichten. Dieser sei durch seine lange Geschichte inhaltlich überfrachtet und betone einseitig die kognitiven Störungen sowie die Irreversibilität und Chronizität des Leidens, meint der Autor. Viele diagnostische Kriterien der „Demenz“ seien nicht klar definiert, wie etwa „Gedächtnisstörungen“, „Störungen der Exekutivfunktionen“ oder „signifikante Beeinträchtigung sozialen oder beruflichen Funktionierens“. Damit eröffnen sie weite Beurteilungsspielräume. So kann es kommen, dass biologisch gesehen vergleichbar schwere Beeinträchtigungen bei einem berufstätigen Patienten die Diagnose „Demenz“ rechtfertigen, während sie einem Rentner das gleiche Etikett ersparen. Der Mangel an einheitlichen präzisen operationalisierbaren Kriterien erklärt, warum mitunter extrem unterschiedliche Angaben zur Demenz-Häufigkeit gemacht werden. In Abhängigkeit vom verwendeten Diagnoseschlüssel können sie zwischen 3,1 Prozent (ICD-10) und 29,1 Prozent (DSM III) schwanken. Die einseitige Verknüpfung des Demenz-Begriffs mit kognitiven Störungen erschwert es nach Meinung Sachdevs, den nicht-kognitiven Symptomen angemessen Rechnung zu tragen (etwa im Bereich der Emotionalität oder des Verhaltens). Auch die sprachliche Unterscheidung zwischen „Pseudodemenz“ (= Depression) und Demenz habe Nachteile. Die begrifflich suggerierte Verschiedenheit hält davon ab, die offenbar bestehenden biologischen, physiologischen und neuroanatomischen Gemeinsamkeiten näher zu untersuchen. Der Begriff „Demenz“ eröffnet zudem eine etwas rigorose Kategorie, in die man fällt oder nicht. Dieses Alles-oder-Nichts-Prinzip wird nicht dem Umstand gerecht, dass sich kognitive und andere typische Beeinträchtigungen bei einer Demenz meist allmählich und über eine weite Skala hinweg entwickeln. Nicht zuletzt ist „Demenz“ noch immer mit einem sehr negativen Stigma und vielen Ängsten verbunden. Als Alternative schlägt Sachdev vor, von „kognitiven Störungen“ zu sprechen. Der Autor ist sich bewusst, dass er ein kühnes Vorhaben propagiert. Aber warum sollte es nicht gelingen? Schließlich hat sich die Fachwelt auch von anderen liebgewonnenen Begriffen sang- und klanglos verabschiedet, wie etwa dem der „Neurose“.

P. Sachdev: Is it time to retire the term “dementia”? J. Neuropsychiatry Clin. Neurosci. 2000 (12) 276-279