USA.
Depressionen stellen sich oft im Anschluss an gravierende
zwischenmenschliche Ereignisse ein, wie Eheprobleme, Scheidung,
Misshandlung, Mobbing, Eltern-Kind-Konflikte usw. Dieser Zusammenhang ließ
vermuten, dass schwerwiegende Lebensereignisse Depressionen fördern. Eine
Studie von C. Hammen und P. A. Brennan regt an, die Verhältnisse anders zu
bewerten. Die Untersuchungsergebnisse sprechen eher dafür, dass „mangelnde
Beziehungskompetenz“ wesentlich zur Entstehung von Depressionen beiträgt.
Fehlende soziale Fähigkeiten bzw. unzureichende Copingstrategien fördern
zwar auch „zwischenmenschliche Katastrophen“. Letztere sind bei der neuen
Betrachtungsweise aber keine eigenständigen Ursachen mehr. Die von den
Autorinnen vertretene Betrachtungsweise regt an, Depressionen seltener als
„schicksalhaft“ zu werten und ihnen durch Vermittlung von Sozialkompetenz
entgegen zu wirken. Möglichweise können beziehungsfördernde Interventionen
auch verhindern, dass Depressionen – via sozial schwierigem Verhalten -
von einer Generation auf die nächste „übertragen“ werden.
Die Studie von Hammen und Brennan stützt sich auf Daten und Angaben von
812 Müttern mit mindestens einem 15-jährigen Kind und 522 Vätern. 358
Frauen hatten zur Zeit der Befragung oder in der Vergangenheit unter einer
Major Depression oder einer Dysthymie gelitten. Die Autorinnen
interessierten sich vor allem für die Frage, ob depressive Frauen nur
während einer depressiven Phase weniger „beziehungsfähig“ sind
(Beziehungsprobleme also Teil der depressiven Symptomatik sind) oder ob
die betreffenden Frauen auch in den depressionsfreien Zeiten mit
Beziehungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Dazu verglichen sie Frauen,
die noch nie an einer Depression gelitten hatten, mit solchen, die nach
einer entsprechenden Episode wieder depressionsfrei waren. Es zeigte sich,
dass die ehemaligen Depressionspatientinnen auch in depressionsfreien
Lebensabschnitten durchweg mehr Beziehungsprobleme hatten: Ihre Ehen waren
weniger stabil und die Frauen waren mit der ehelichen Beziehung
unzufriedener. Sie berichteten mehr über Zwang und Gewalt durch den
Partner. Das Verhältnis zu Kindern, Freunden und fernerer Familie war
problematischer. Es gab mehr Klagen über belastende Lebensereignisse mit
zwischenmenschlichem und konflikthaftem Inhalt. In ihren Vorstellungen
über andere Menschen waren sich die Frauen unsicherer. Auch die männlichen
Partner litten vermehrt unter Problemen oder diagnostizierbaren Störungen.
Nach Ansicht der Autorinnen bestätigen ihre Studienergebnisse die moderne
Betrachtungsweise, dass Depression ein zwischenmenschliches Phänomen ist.
Die beiden Wissenschaftlerinnen plädieren dafür, die Heilung einer
Depression auch daran zu messen, wie gut die Betreffenden „sozial
funktionieren“. Sie räumen ein, dass eine schwache Beziehungsfähigkeit
auch Folge klinisch nicht erkennbarer minimaler depressiver Symptome sein
kann.
C.
Hammen u.a.: Interpersonal dysfunction in depressed women: impairments
independent of depressive symptoms. Journal of Affective Disorders 2002
(72) 145-156
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