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Marihuana als heimliches Antiepileptikum?

Kanada. Jeder fünfte Epilepsie-Kranke (21 Prozent) hat im vergangenen Jahr Marihuana konsumiert. In zwei Drittel der Fälle (68 Prozent) verringerten sich dadurch die Anfallsschwere und in der Hälfte der Fälle (54 Prozent) die Anfallshäufigkeit. Zu diesen und weiteren Feststellungen gelangen D. W. Gross und Kollegen in einer Telefonbefragung von 136 Epilepsie-Patienten. 15 Prozent der Befragten hatten im zurückliegenden Monat – also vor kurzem - Marihuana benutzt. 13 Prozent gaben sich als häufige Anwender und 8,1 Prozent als intensive Anwender der Droge zu erkennen. 3 Prozent erfüllten bereits klassische Suchtkriterien.

    Diese Daten stimmen nachdenklich, da es bislang keine überzeugenden wissenschaftlichen Studien zum Nutzen von Marihuana bzw. seines Wirkstoffs (Δ-9-tetrahydrocannabinol = THC) gibt. Zwar zeigte THC in den meisten Tiermodellen antikonvulsive Effekte, aber eben nicht ausnahmslos. Eine bei gesunden Personen und bei Epilepsie-Kranken durchgeführte randomisierte kontrollierte Studie lieferte keine eindeutigen Ergebnisse.

    Wie J. I. Sirven und A. T. Berg in einem Kommentar der Untersuchung anmerken, lassen sich die dort ermittelten Daten nicht ohne weiteres auf andere Staaten übertragen. Denn Kanada gehört zu jenen Nationen, deren Gesetze die therapeutische Anwendung von Marihuana unter bestimmten Bedingungen gestatten. Dennoch scheinen auch für kanadische Gegebenheiten verhältnismäßig viele Epilepsie-Kranke Marihuana zu konsumieren. Dabei spielten im hier betrachteten Kollektiv bei weniger als der Hälfte (43 Prozent) medizinische Gründe eine Rolle. Zudem hatte kein einziger der befragten Marihuana-Anwender die Droge aufgrund einer offiziellen Genehmigung (Canadian Medical Marijuana Access Regulations) benutzt.

    In ihrer Diskussion der Befragungsdaten weisen Gross und Mitarbeiter darauf hin, dass sich Epilepsie-kranke Anwender- und Nicht-Anwender von Marihuana nicht zu unterscheiden scheinen. Dagegen begünstigen in der Normalbevölkerung jüngeres Alter, männliches Geschlecht und Arbeitslosigkeit den Marihuana-Konsum. Epilepsie-Patienten neigen offenbar dann vermehrt zu Marihuana-Konsum (wie auch zu anderen nichtkonventionellen Maßnahmen), wenn sie unter häufigen Anfällen und einer bereits langen Krankheitsdauer leiden. Nach Ansicht der Autoren lassen sich gerade diese Zusammenhänge auch aus einer völlig anderen Perspektive betrachten: So ist keineswegs ausgeschlossen, dass Marihuana-Gebrauch nicht erst die Folge eines vermehrten Leidens an Epilepsie ist, möglicherweise gehört er in einigen Fällen eher zu dessen Ursachen.

D. W. Gross u. a.: Marijuana use and epilepsy. Prevalance in patients of a tertiary care epilepsy center. Neurology 2004 (62) 2095-2097; J. I. Sirven u. a.: Marijuana as a treatment for epilepsy and multiple sclerosis? A “grass roots” movement. Neurology 2004 (62) 1924-1925